Amazon – ausgeloggt!

Wie viele andere auch habe ich in dieser Woche die Dokumentation „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ in der ARD Mediathek gesehen und bin, wie viele andere sicherlich auch, entsetzt. Als Reaktion im Internet und den sozialen Netzwerken ist oft der Begriff „Moderner Sklavenhandel“ gefallen und ich bin der Meinung, dass man die Zustände bei Amazon nicht treffender ausdrücken kann. Sklavenarbeit mitten in Deutschland, und es bedarf erst einer Mail eines Amazon Busfahrers an die Presse, um diese überhaupt aufzudecken. Ein großer Dank an dieser Stelle an die Journalisten, die diesen Hinweis weiter verfolgt haben und so diese kriminellen Machenschaften der Öffentlichkeit und dem Schwarm, also uns allen, zugänglich gemacht haben. Und nun sind wir gefordert, daraus unsere Konsequenzen zu ziehen!
Folgende Aussagen habe ich in den letzten Tagen häufig gehört: „Egal was wir tun, wir können doch eh nichts gegen diesen übermächtigen Konzern ausrichten.“ Wie erschreckend fatalistisch sind wir eigentlich mittlerweile geworden? Ist dies eine unangenehme Folge der Globalisierung, dass wir uns als so kleines Rädchen im System sehen, dass wir immer das Gefühl haben, unser eigenes Handeln kann nichts bewirken in dieser großen Welt? Oder ist es eine dankbare Ausrede, um das eigene Gewissen zu beruhigen und die eigene Bequemlichkeit zu rechtfertigen?      
Dabei kann jeder Position beziehen und sicherlich am einfachsten wir Kunden. Aber natürlich können auch die Lieferanten und Kooperationspartner von Amazon ein Zeichen setzen, so wie es der Verleger Christopher Schroer als direkte Reaktion getan hat und die Zusammenarbeit mit Amazon aufgekündigt hat. Dieser konsequenten Haltung ist absoluter Respekt zu zollen, denn hier geht es auch um nicht unerhebliche Verluste für den Verlag, wenn seine Titel nicht mehr vom „Amazon konditionierten Schwarm“ dort bestellt werden können. Und geringerer Umsatz wird dann auch zur Gefahr für die Mitarbeiter, denn im schlimmsten Fall führt dies zu Personalabbau. Aus unternehmerischer Sicht ist diese Entscheidung also extrem mutig und zugleich gefährlich und zeugt dennoch von hoher moralischer und ethischer Verantwortung für die Gesellschaft.
Für uns Kunden ist eine Entscheidung gegen Amazon vergleichsweise einfach. Im schlimmsten Fall zahlen wir für einen Artikel woanders etwas mehr, im besten Falle ist der Preis aber gleich. Zum Beispiel bei Büchern. Bücher unterliegen der Preisbindung, und so kostet das Buch bei Amazon genauso viel wie bei einem anderen Versandhandel oder bei meinem Buchhändler um die Ecke. Und auch hier war der Einfluss von Amazon in der Vergangenheit so groß, dass selbst beim kleinsten Buchhändler in diesem Lande die Buchbestellungen mittlerweile in der Regel versandkostenfrei verschickt werden, um irgendwie mitzuhalten. Dabei kann sich dies ein kleiner oder mittlerer stationärer Buchhändler aus unternehmerischer Sicht eigentlich gar nicht erlauben.
Ein kleines Rechenbeispiel. Der Kunde bestellt ein Buch im Buchhandel und möchte es zugesendet bekommen. Das Buch kostet im VK 10€. Der Buchhändler erhält beim Großhändler, wenn es hoffentlich nicht gerade ein Schulbuch ist, 30% Rabatt. Also 3€ in diesem Fall. Wenn er es nun als Büchersendung an den Kunden versendet, zahlt der Buchhändler 1€ Porto oder ab einem Gewicht von 500 Gramm 1,65€. Bei diesem Geschäftsvorfall bleiben dem Buchhändler also brutto 1,35€ – 2€, von denen nun sämtliche Betriebskosten, Miete und Personalkosten abgehen. Ach ja, und Steuern natürlich, die Amazon leider auch nur sehr minimalistisch bezahlt.
Leider ist die Politik und Gesetzeslage noch nicht auf so große internationale Unternehmen im Versandhandel eingestellt. D.h. hier werden die Gelder innerhalb der einzelnen Länder so verschoben, dass sämtliche Steuervorteile auf unsoziale Art und Weise ausgenutzt werden. Es ist halt eine Frage der Definition, ob das Buch oder der Wasserkocher nun in Deutschland verkauft oder nur versendet wird. Diese Gretchenfrage wiegt allerdings viele hundert Millionen Euro schwer. Die Trägheit und Überforderung der Politik im Bezug auf Internethandel bewirkt also diese Ungerechtigkeiten, die zu eklatanten Wettbewerbsverzerrungen führen. Auch diese Steueroasen führen dazu, dass Amazon den langen Atem beweisen kann, seine Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Amazon hat 25% des Versandhandels inne, wie viele Arbeitsplätze hier also anderswo weggefallen sein mögen, kann man sich leicht ausmalen. Wirkliche Arbeitsplätze, nicht Sklavenarbeitsplätze.
Und von den 6,8 Milliarden Euro Umsatz in Deutschland in 2012 dürfte nicht viel an Steuereinnahmen für uns abgefallen sein. Genaue Zahlen gibt es leider nicht, die Umschreibungen hierzu lassen aber das Schlimmste befürchten.
Der Buchumsatz bei Amazon in Deutschland im Jahr 2012 lag bei 20% des gesamten Buchumsatzes in Deutschland. Und die meisten Bücher wurden von befristet eingestellten, unterbezahlten und ausgenutzten Polen, Rumänen, Spaniern oder…oder …oder gepickt, verpackt und versendet. Schaut Euch mal den Beitrag an, falls Ihr diesen noch nicht gesehen habt, vielleicht wurdet Ihr ja von der freundlichen, gut ausgebildeten, aber genauso ausgenutzten Kunstlehrerin aus Spanien beliefert. Also nicht aus Spanien beliefert, sondern aus Bad Hersfeld natürlich. Die Arbeitskraft wurde nur aus Spanien angeliefert.

Also, jeder Einzelne muss nun für sich überlegen, was er tut. Ich bin selber Buchhändlerin und habe bisher sehr selten bei Amazon bestellt, Bücher schon gar nicht. Aus Zeitmangel und Bequemlichkeit habe ich allerdings andere Bestellungen dort ab und zu getätigt, obwohl mir mein eigener Menschenverstand schon lange sagte, dass ein Unternehmen, das ausschließlich auf Gewinnmaximierung und Verdrängungswettbewerb getrimmt ist, keinen sozialen Anteil an unserer Gesellschaft hat. Bestellen bei Amazon werde ich in Zukunft definitiv nicht mehr. Ich wünsche mir, dass auch viele andere Kunden Amazon in Zukunft meiden werden.
Von Verdi hörte ich allerdings diese Aussage zum möglichen Amazon Boykott:
„Doch davon hält die Gewerkschaft Verdi nichts. „Amazon schafft Arbeitsplätze“, sagte eine Verdi-Sprecherin dieser Zeitung. Viele Menschen würden nun mal gern im Internet einkaufen, das könne man nicht einfach ignorieren“
Diese Aussage macht mich sehr ratlos und kann hoffentlich nicht ernst gemeint sein. Was für Arbeitsplätze schafft Amazon denn? 2/3 befristete Arbeitsplätze zu prekären Bedingungen. Gehört dies in die Kategorie: „Es ist alles erlaubt, was Arbeit schafft?“ Genau diese Einstellung führt aber meiner Meinung genau zu diesen Machenschaften und weiteren unsozialen „Aufstocker“ Arbeitsplätzen.
Ja, die Kunden kaufen gerne im Internet ein und werden es auch in Zukunft tun. Fehlende politische Rahmenbedingungen im Arbeits- und Steuerrecht führen aber genau zu diesem unmenschlichen Sklavenhandel. Und fragt doch mal bei der nächsten Lieferung Euren Paketzusteller, was er verdient und wie flexibel er dafür arbeiten muss.
Dies zeigt auch, dass diese Zustände bei Amazon nur eine Begleiterscheinung unserer sich wandelnden Gesellschaft und Arbeitsbedingungen sind. Das Problem und die daraus resultierende Fragestellung ist aber sehr viel tiefgreifender. Viel essentieller ist in diesem Zusammenhang, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen? Wir schaffen uns und unseren Wert gerade selber ab und merken es nicht einmal. Oder wollen es fatalistisch gesehen nicht ändern wollen können….
Unsere Zukunft bringt uns nur noch unterbezahlte Jobs in den Versandlagern oder Callcentern dieser Welt. Und selbst wenn wir Glück haben und dafür einen irgendwann geltenden gesetzlichen Mindestlohn erhalten, so werden wir davon zukünftig sicherlich keinen Urlaub oder kostenintensives Hobby finanzieren können. Aber ausreichende Freizeit werden wohl auch immer weniger Menschen haben, schließlich sind Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz von 3–4 Stunden täglich schon heute keine Seltenheit.
Wollen wir Städte, in denen es keine Buchhandlungen mehr gibt? Schimpfen wir weiter auf Unternehmen, die Ihre stationären Buchhandlungen mit gut ausgebildeten Personal und daher auch soliden Gehältern schließen müssen? Sollten wir nicht lieber uns selber beschimpfen? O.k., ich bin als Buchhändlerin in diesem Zusammenhang nicht unbefangen, aber es macht mich schon traurig, wenn Bücher zukünftig nur noch wie Wasserkocher durch die Republik geschickt werden, von Algorithmen ausgewählt und von unterbezahlten Rumänen versendet.
Zudem fällt mir mittlerweile im Internet immer mehr auf, dass in Blogs von Journalisten, Bloggern oder Wissenschaftlern immer auf Amazon verlinkt wird, um auf eigene oder themenspezifische Literatur hinzuweisen. Warum? Macht Euch doch bitte die Mühe und verweist auf Buchhandlungen, die ausgebildete Buchhändlerinnen und Buchhändler beschäftigen und bezahlen.
Mindere Tätigkeiten werden in unserer Gesellschaft der Zukunft übrig bleiben, wenn wir unsere Kompetenzen und Qualitäten weiterhin ausblenden und unsere Lebensqualität damit abschaffen. Sollten wir dann einen wirklich guten Job im Amazon Logistikzentrum ergattern, dann erhalten wir 1.400€ brutto im Monat. Wer von uns kann und möchte davon leben? Sehr viele Menschen in unserem Lande tun dies bereits.
Wir sollten wieder mehr über den Wert von Leistungen nachdenken. Ein wenig von der „Der Kunde ist König Haltung“ abgeben und überlegen, was uns welches Produkt, Dienstleistung oder Arbeit wert ist. Und diese dann auch bereit sind zu bezahlen. Und letztendlich ist dies gut investiertes Geld in unsere Gesellschaft und eigene Zukunft.
…und vielleicht treffen wir uns dann nicht in 10 Jahren in irgendeinem Callcenter oder Logistikzentrum auf diesem Planeten, wo ausgebildete Journalisten, Buchhändler und Bankangestellte für 5€ die Stunde Bestellungen entgegen nehmen oder verpacken. Fundierte Ausbildung und Fachkompetenz rettet uns sicherlich nicht davor, wie das Beispiel der sympathischen und gut ausgebildeten Lehrerin aus Spanien zeigt. Nur unser Verhalten, unsere Wertschöpfung und Wertschätzung wird uns davor bewahren können.
Amazon – Logout!

4 Gedanken zu “Amazon – ausgeloggt!

  1. Ich kann mich ihrem Beitrag nur anschließen. Mein Kundenkonto habe ich bei Amazon bereits gelöscht. Auch andere Versandhandelsunternehmen werde ich in Zukunft vor einer Bestellung prüfen. Noch besser, man kauft vor Ort und unterstützt diese Geschäfte.

    • @R.Lutz
      Richtig wo kommen wir denn hin, wenn dahergelaufene amerik. Konzerne Leiharbeiter mies behandeln. Das sollte nur unseren ortsansässigen Unternehmern vorgehalten sein, wie es gerne auch landwirtschaftliche Großbetriebe oder Paket- und Postzusteller mit Ihren Erntehelfern und Zusellern machen. Auch Pflegedienste, Einzelhändler, Fuhrunternehmen, Sicherheitsdienste usw. usw. bezahlen natürlich übertarifliche Löhne, sämtliche Überstunden und Zuschläge. Kettenbefristungen in ortsansässigen Unternehmen sind auch ebenfalls ein Fremdwort.
      Zur Not kann man ja Sklavenarbeit auch in die dritte Welt delegieren und wie Addidas einfach in Pakistan verbrennen oder in China zusammenschlagen lassen. Und wenn die dort zu teuer werden, dann gehen wir einfach nach Mali oder in den Kongo.

  2. Zudem fällt mir mittlerweile im Internet immer mehr auf, dass in Blogs von Journalisten, Bloggern oder Wissenschaftlern immer auf Amazon verlinkt wird, um auf eigene oder themenspezifische Literatur hinzuweisen. Warum? Macht Euch doch bitte die Mühe und verweist auf Buchhandlungen, die ausgebildete Buchhändlerinnen und Buchhändler beschäftigen und bezahlen.

    Wer selbst ein Buch geschrieben hat und im Internet dafür wirbt, möchte möglicherweise wissen, wie viele Bücher auf diese Weise tatsächlich verkauft wurden. Die Statistik dafür liefert Amazon Partnernet.

    Ich wundere mich eher, wieso es Independent-Autoren bei Kindle Direct Publishing gibt, die kein Amazon-Partnerprogramm haben. Aber vielleicht will man ja gar nicht immer genau wissen, was der eigene Aktionismus gebracht hat.

  3. Pingback: Ich will so bleiben wie ich bin – Amazon. | Filter Bubble

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