„Mr. President, Dr. Biden, Madam Vice President, Mr. Emhoff, Bürger Amerikas und der ganzen Welt,“
Amanda Gorman
Als die Poetin Amanda Gorman bei der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden ihr Gedicht „The hill we climb“ vorgetragen hat, überkam mich eine mächtige Gänsehaut – was für ein gewaltiger, historischer Moment. Die jüngste Dichterin trifft auf den ältesten gewählten Präsidenten.
Donald Trump war gerade nach vier Schreckensjahren, in denen er Demokratie, Vielfalt und Menschlichkeit mit Füßen getreten und Lügen, Hass und Hetze salonfähig gemacht hat, mit seiner Air Force One entschwunden. Was sich hier an einem (solch herbeigesehnten) Tag vollzogen hat, war nicht nur ein Präsidenten- oder Politikwechsel, nicht nur eine Inauguration unter Corona-Bedingungen. Es war die Befreiung aus einer tumben Welt mit verengten Weltbildern, hin zu einer vielfältigen und hoffnungsfrohen Zukunft. Eine Welt, in der Frauen genauso viel wert sind wie Männer, Herkunft und Hautfarbe keine Rolle mehr spielen sollen. Und diese Botschaft hätte nicht besser verkörpert werden können als durch Amanda Gorman, die von Jill Biden höchstpersönlich vorgeschlagen wurde, ein Stück für die Amtseinführung ihres Mannes zu schreiben und vorzutragen. Gorman verliebte sich schon als Kind in Worte und Sprache, in Bücher und Literatur und hat selbst erlebt, welchen Einfluss Sprache auf Menschen und Gesellschaft haben kann. Die Macht des Wortes im guten und im schlechten Sinne.
"Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein."
Diese Schlussworte ihres Gedichtes sind ein Appell für den Aufbruch in den USA, aber mindestens genauso wohltuende Worte für die ganze Welt. Besonders während einer Pandemie.
Mutig und hoffnungsfroh sollten wir momentan alle in die Zukunft schauen, aber auch mutig sein im Hier und Jetzt, um nicht im Stillstand zu verharren. Für sehr viele Menschen ist dies gerade sehr schwierig, weil sie besonders unter den Auswirkungen der Pandemie leiden und vielleicht sogar von Krankheit und Tod betroffen sind. Es gibt aber auch die Menschen, die sowieso immer betroffen sind, weil sie es auch außerhalb einer Pandemie schwer haben im Leben und Dinge, die wir gerade krass vermissen, eigentlich auch sonst nicht zu Verfügung haben.
Das Gedicht von Amanda Gorman verleiht Kraft und Mut, ihre Worte auf Englisch können dennoch einige Menschen nicht verstehen. Damit zumindest an dieser Stelle niemand ausgeschlossen ist, möchte ich diese wirklich schöne Übersetzung teilen, die einzige, die ich übrigens bis jetzt finden konnte.
Der Originaltext und die Übersetzung von „The hill we climb“ sind mit freundlicher Genehmigung von der Webseite des „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) entnommen.
Herzlichen Dank für die tolle Übersetzung!
Amanda Gorman „The hill we climb“ When day comes we ask ourselves, where can we find light in this never-ending shade? The loss we carry, a sea we must wade We’ve braved the belly of the beast We’ve learned that quiet isn’t always peace And the norms and notions of what just is Isn’t always just-ice And yet the dawn is ours before we knew it Somehow we do it Somehow we’ve weathered and witnessed a nation that isn’t broken but simply unfinished We the successors of a country and a time Where a skinny Black girl descended from slaves and raised by a single mother can dream of becoming president only to find herself reciting for one And yes we are far from polished far from pristine but that doesn’t mean we are striving to form a union that is perfect We are striving to forge a union with purpose To compose a country committed to all cultures, colors, characters and conditions of man And so we lift our gazes not to what stands between us but what stands before us We close the divide because we know, to put our future first, we must first put our differences aside We lay down our arms so we can reach out our arms to one another We seek harm to none and harmony for all Let the globe, if nothing else, say this is true: That even as we grieved, we grew That even as we hurt, we hoped That even as we tired, we tried That we’ll forever be tied together, victorious Not because we will never again know defeat but because we will never again sow division Scripture tells us to envision that everyone shall sit under their own vine and fig tree And no one shall make them afraid If we’re to live up to our own time Then victory won’t lie in the blade But in all the bridges we’ve made That is the promise to glade The hill we climb If only we dare it because being American is more than a pride we inherit, it’s the past we step into and how we repair it We’ve seen a force that would shatter our nation rather than share it Would destroy our country if it meant delaying democracy And this effort very nearly succeeded But while democracy can be periodically delayed it can never be permanently defeated In this truth in this faith we trust For while we have our eyes on the future history has its eyes on us This is the era of just redemption We feared at its inception We did not feel prepared to be the heirs of such a terrifying hour but within it we found the power to author a new chapter To offer hope and laughter to ourselves So while once we asked, how could we possibly prevail over catastrophe? Now we assert How could catastrophe possibly prevail over us? We will not march back to what was but move to what shall be A country that is bruised but whole, benevolent but bold, fierce and free We will not be turned around or interrupted by intimidation because we know our inaction and inertia will be the inheritance of the next generation Our blunders become their burdens But one thing is certain: If we merge mercy with might, and might with right, then love becomes our legacy and change our children’s birthright So let us leave behind a country better than the one we were left with Every breath from my bronze-pounded chest, we will raise this wounded world into a wondrous one We will rise from the gold-limbed hills of the west, we will rise from the windswept northeast where our forefathers first realized revolution We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states, we will rise from the sunbaked south We will rebuild, reconcile and recover and every known nook of our nation and every corner called our country, our people diverse and beautiful will emerge, battered and beautiful When day comes we step out of the shade, aflame and unafraid The new dawn blooms as we free it For there is always light, if only we’re brave enough to see it If only we’re brave enough to be it
Amanda Gorman „Der Hügel, den wir erklimmen“ Wenn es Tag wird, fragen wir uns, wo wir Licht zu finden vermögen, in diesem niemals endenden Schatten? Den Verlust, den wir tragen, ein Meer, das wir durchwaten müssen. Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt. Wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet. Und dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerade ist, nicht immer Gerechtigkeit sind. [Die Übersetzung könnte auch lauten, „dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerecht ist“. Die Betonung legt aber die obige Interpretation nahe. Wahrscheinlich spielt die Lyrikerin hier aber bewusst mit der doppelten Bedeutung von „just“. Anm.d.Übersetzer] Und doch gehört die Morgendämmerung uns, noch ehe wir es wussten. Irgendwie schaffen wir es. Irgendwie haben wir es überstanden und bezeugten eine Nation, die nicht kaputt ist, sondern einfach unvollendet. Wir, die Nachfahren eines Landes und einer Zeit, in der ein dünnes, schwarzes Mädchen, das von Sklaven abstammt und von einer alleinerziehenden Mutter großgezogen wurde, davon träumen kann, Präsidentin zu werden, nur um sich selbst in einer Situation zu finden, in der sie für einen vorträgt. Und ja, wir sind alles andere als lupenrein, alles andere als makellos, aber das bedeutet nicht, dass wir danach streben, eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist. Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden. Ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt. Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht, sondern auf das, was vor uns steht. Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen, zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen. Wir legen unsere Waffen nieder, damit wir unsere Arme nacheinander ausstrecken können. Wir wollen Schaden für keinen und Harmonie für alle. Lasst die Welt, wenn sonst auch nichts, sagen, dass dies wahr ist: Dass wir, selbst als wir trauerten, wuchsen Dass wir, selbst als wir Schmerzen litten, hofften Dass wir, selbst als wir ermüdeten, es weiter versucht haben Dass wir für immer verbunden sein werden, siegreich Nicht weil wir nie wieder eine Niederlage erleben werden, sondern weil wir nie wieder Spaltung säen werden. Die Heilige Schrift sagt uns, dass wir uns vorstellen sollen, dass jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum sitzen soll und keiner ihnen Angst machen soll. Falls wir unserer eigenen Zeit gerecht werden sollen, dann wird der Sieg nicht in der Klinge liegen, sondern in all den Brücken, die wir gebaut haben. Das ist das Versprechen: Der Hügel, den wir erklimmen, wenn wir es nur wagen, denn Amerikaner zu sein, ist mehr als ein Stolz, den wir erben, es ist die Vergangenheit, in die wir treten, und die Art, wie wir sie reparieren. Wir haben eine Macht gesehen, die unsere Nation eher zerschlagen würde, als sie zu teilen, die unser Land zerstören würde, wenn es dazu führe, Demokratie zu verzögern. Und dieser Versuch war fast erfolgreich. Doch auch wenn Demokratie von Zeit zu Zeit verzögert werden kann, kann sie niemals dauerhaft besiegt werden. In diese Wahrheit, in diesem Glauben, vertrauen wir. Denn obwohl wir unsere Augen auf die Zukunft richten, die Geschichte hat ihre Augen auf uns gerichtet. Dies ist die Ära gerechter Wiedergutmachung. Wir fürchteten zu Beginn, wir fühlten uns nicht bereit, Erben einer solch schrecklichen Stunde zu sein, doch in ihr fanden wir die Kraft ein neues Kapitel zu schreiben, uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken. Also während wir uns einst fragten, wie wir jemals diese Katastrophe überstehen könnten, stellen wir jetzt fest: Wie könnte eine Katastrophe jemals uns überstehen. Wir werden nicht zurück zu dem marschieren, was war, sondern uns auf das zu bewegen, was sein wird. Ein Land, das zwar verletzt, aber dennoch intakt ist, gütig, aber kühn, kämpferisch und frei. Wir werden uns nicht umdrehen oder durch Einschüchterung unterbrechen lassen, weil wir wissen, dass unsere Untätigkeit und Trägheit unser Erbe für die nächste Generation sein wird. Unsere groben Fehler werden zu ihren Lasten. Aber eines ist sicher: Wenn wir Barmherzigkeit mit Macht verschmelzen und Macht mit Recht, dann wird Liebe unser Vermächtnis und Veränderung das Geburtsrecht unserer Kinder. Also lasst uns ein Land hinterlassen, das besser ist als das, welches uns hinterlassen wurde. Mit jedem Atemzug aus meiner bronzegegossenen Brust werden wir diese verwundete Welt in eine wundersame verwandeln. Wir werden uns von den goldbeschienenen Hügeln des Westens erheben, wir werden uns aus dem windgepeitschten Nordosten erheben, in dem unsere Vorfahren zum ersten Mal die Revolution verwirklichten, wir werden uns aus den von Seen gesäumten Städten des Mittleren Westens erheben, wir werden uns aus dem sonnengebrannten Süden erheben, wir werden wieder aufbauen, uns versöhnen und erholen, und jeden bekannten Winkel unserer Nation und jede Ecke, die unser Landes genannt wird. Unser Volk, vielfältig und schön, wird aufstreben, zerschunden und schön. Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus, entflammt und ohne Angst. Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien. Denn es gibt immer Licht, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen, wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.